Rikki und die Kinderreporter
Im August habe ich in einem offenen Brief an den SWR gefordert, dass der unrealistische Film „Rikki und die Kinderreporter in Rheinland-Pfalz“ aus dem Verkehr gezogen wird, weil er die Berufsgruppe der Bauern verunglimpft und Kinder zur Selbstjustiz animiert. Am 16. September ging das unten stehende Antwortschreiben des SWR in meinem Abgeordnetenbüro ein:
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Meine Antwort:
Sehr geehrte Frau Dr. Schelberg,
vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme zu meinem offenen Brief. Leider muss ich Ihnen in einigen Punkten widersprechen. Wenn es Ihnen, wie Sie schreiben, darum ging, den Kindern, die diesen Film in der Schule vorgeführt bekommen, „die Arbeit bei einem Sender wie dem SWR aufzuzeigen“, erlauben Sie mir die Frage, wieso Sie nicht einen anderen Täter oder ein anderes Delikt gewählt haben? Es hätte dann z. B. auch eine Privatperson ihre Tiere quälen oder jemand eine Tankstelle überfallen können. Das hätten die Kinder genauso beobachten und melden können.
Sie schreiben, der Bauer im Film werde nicht mit Landwirten im Allgemeinen gleichgesetzt. Das mag nicht Ihre Absicht gewesen sein, dennoch wird es genauso aufgefasst, und zwar nicht nur von mir – das zeigen mir die Kommentare und Zuschriften nach meinem Facebook-Post. Ich frage mich, wie die Reaktionen der Öffentlichkeit aussehen würden, wenn anstelle eines Bauern beispielsweise ein dunkelhäutiger Mann die Pferde geschlagen hätte – oder vielleicht ein Moslem oder Jude. Würden Sie dann auch sagen, die Hautfarbe/Religionszugehörigkeit ist reiner Zufall; wir wollten nicht suggerieren, dass alle dunkelhäutigen/muslimischen/jüdischen Männer Tiere schlagen; Grundschüler sind in der Lage, da zu differenzieren? Ich bin mir absolut sicher, dass es in diesem Fall ebenso zu Recht Beschwerdebriefe von den entsprechenden Interessenvertretungen und Betroffenen hageln würde.
Aber wenn Sie schon den Beruf als Erkennungszeichen herauspicken (es ist im Film bei Tisch immer die Rede von dem „Bauern“ und eben nicht von einem „Mann in der Hütte“, wie Sie schreiben) wieso dann ausgerechnet die Berufsgruppe der Bauern? Sie hätten schließlich auch einen Film über Journalisten, die Tatsachen erfinden, oder über Pfarrer, die Kinder misshandeln, machen können? In allen Fällen würde jedoch gleichermaßen die Gefahr drohen, dass wenige schwarze Schafe zum Synonym für eine gesamte Gruppe gemacht werden. Es ist meiner Meinung nach bezeichnend, dass ausgerechnet der tierquälende Bauer als Figur ausgewählt wurde.
Die Reaktionen aus den Schulen, von denen Sie berichten, würden mich brennend interessieren. Was wurde Ihnen denn konkret zurückgemeldet? Bei einer Achtjährigen, mit der ich gesprochen habe, ist vor allem hängen geblieben, dass Bauern böse sind und ihre Tiere schlagen – wohlgemerkt Bauern und nicht der eine Bauer. Kinder aus meinem engsten Freundes- und Bekanntenkreis, die in einem landwirtschaftlichen Umfeld aufgewachsen sind, reagierten ähnlich und verurteilten in ihrer ersten Reaktion die schrecklichen Taten DER Bauern. (Mehrzahl) Sehr bedenklich ist es für mich auch, dass die Eltern der Kinder sie in dem Film nicht dafür rügen, sich derart in Gefahr gebracht zu haben: Sowohl von dem Bauern im Film (oder dem Mann im Wald, wie Sie es darstellen) als auch von den freigelassenen Pferden geht schließlich ein unkalkulierbares Risiko aus. Es wäre ein Leichtes gewesen, das Verhalten der Kinder von den Erwachsenen richtig einordnen zu lassen.
Meine Befürchtung – begründet in meiner Erfahrung als Mutter dreier Schulkinder – ist, dass auch die Lehrer das nicht richtig einordnen. Ich halte es deshalb für falsch, einen solchen Film als Unterrichtsmaterial anzubieten. Mir ist nicht erst einmal aufgefallen, dass Lehrer oft keinerlei Kontakt zur Nahrungsmittelproduktion haben. Das Angebot eines Hoftages – sofern es überhaupt angenommen wird – offenbart meist schnell, wie wenig die Lebenswirklichkeit derer, die urteilen, mit der Lebenswirklichkeit derer, die machen, zu tun hat.
Ihre Vergleiche mit den Helden aus Astrid Lindgrens Werken kann ich nicht nachvollziehen. Hierbei handelt es sich klar um Fiktion: Jedes Kind weiß, dass es nicht alleine leben, und erst recht, dass es nicht fliegen kann. Nichtsdestotrotz gibt es zumindest bei Pippi das Fräulein Prüsselius, die Leiterin des Kinderheims, die Pippis Lebensweise als nicht kindgerecht kritisiert. Aber leider weiß nicht jedes Kind, dass die meisten Bauern ihr komplettes Leben den Bedürfnissen ihrer Tiere unterordnen. Der Film wäre eine gute Gelegenheit gewesen, ihnen diese Tatsache zu vermitteln, und hätte der Spannungskurve keinen Abbruch getan.
Ich glaube Ihnen gern, dass Bürger sich bei Ihrem Sender melden, wenn Sie vermuten, Unrecht entdeckt zu haben. Doch nur weil jemand einen Weg geht, heißt das noch nicht, dass es der richtige ist. Natürlich sollen die Medien recherchieren und darüber berichten, wenn sich ein Verdacht als begründet erwiesen hat. Nichtsdestotrotz sind in erster Linie die Behörden für Ermittlungen zuständig. Wenn diese beim ersten Mal ergebnislos verlaufen sind, müssen sie eben ein weiteres Mal bemüht werden.
Die Zielgruppe des Films sind Kinder. Ziel Ihres Films soll es sein, den Kindern die Arbeit des SWR als öffentlich-rechtlicher Sender zu erklären. Sie vermitteln und verbreiten Informationen, arbeiten dabei natürlich zielgruppenorientiert und sind eben nicht die erste Anlaufstelle bei Verstößen gegen Recht und Gesetz. Und diese zentrale Information kommt mir in diesem Film leider viel zu kurz.
Ihr Angebot zu einem persönlichen Gespräch nehme ich gerne an und werde mich in den nächsten Tagen telefonisch bei Ihnen melden.
Mit freundlichen Grüßen
Carina Konrad MdB